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Erste Bewohner im Aktiv-Stadthaus in Frankfurt am Main

Das erste innerstädtische mehrgeschossige Wohngebäude im Effizienzhaus Plus-Ansatz ist bezogen. Die Informationsstelle Effizienzhaus Plus hat Frank Junker, Vorsitzender der Geschäftsführung der ABG FRANKFURT HOLDING GmbH, zum Gespräch über das Wohnen im Aktiv-Stadthaus in Frankfurt am Main gebeten.

Herr Junker, die ABG FRANKFURT HOLDING GmbH hat zwei Effizienzhäuser Plus in Frankfurt gebaut, eines in der Cordier- und eines in der Speicherstraße. Warum haben Sie sich für den Effizienzhaus Plus-Ansatz entschieden?

Als verantwortungsvolle Wohnungsbaugesellschaft setzen wir schon seit Jahrzehnten die Passivhaus-Bauweise um. Die Weiterentwicklung zu einer Bauweise, die den Energiebedarf nicht nur auf ein Minimum reduziert, dem Aktiv-Stadthaus, das ein Gros des verbleibenden Energiebedarfs selbst generiert, war für uns ein logischer Schritt auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung. 

Wodurch unterscheiden sich diese Bauvorhaben von anderen, zum Beispiel im Planungsprozess?

Die Planungsprozesse sind marginal aufwändiger als die anderer Projekte. Für eine eingehende Auseinandersetzung mit den übergeordneten energetischen Zielen sowie für das Zusammenstellen des Planungsteams sollte man sich ausreichend Zeit nehmen. Extrem wichtig sind zudem eine gute Bauleitung und eine hohe baubegleitende Qualitätssicherung, so wie es für alle Standards des energieeffizienten Bauens erforderlich ist.

Frank Junker ABG

Wie können Sie die baulichen Mehrkosten kompensieren? Durch höhere Mieten, einen geringeren Wartungsaufwand?

Aus unserer langjährigen Erfahrung in der Realisierung von Wohnungen im Passivhausstandard stellen wir fest, dass die Mehrkosten für ein Passivhaus zwischen 5 % und 7 % liegen; diese Erfahrungswerte wurden auch von einer unabhängigen Studie der Energieagentur Luxemburg bestätigt. Für das Aktiv-Stadthaus sind weitere 5 % bis 6 % Mehrkosten angefallen. Hier wurde ein Standard realisiert, der sicherlich nicht immer umgesetzt werden kann. Das Grundstück, das bereits der ABG FRANKFURT HOLDING GmbH gehörte, wurde hier zu aktuellen Bodenrichtwerten angesetzt. 

Wie reagieren die Mieter auf das Aktiv-Stadthaus? Gab es Besonderheiten in der Vermarktung?

Für die Vermarktung der Aktiv-Stadthaus-Wohnungen gab es keine spezielle Strategie. Wer in das Aktiv-Stadthaus einziehen möchte, benötigt keine Vorkenntnisse im „energieeffizienten Wohnen“. Aber es ist schon eine Nachfrage nach energieeffizienten Gebäuden zu spüren, ganz einfach aufgrund der sehr niedrigen Betriebskosten. 

Neue Mieter erhalten eine  Beschreibung in Form einer Zeitung, mit der eine Einführung in den Touchscreen gegeben wird. Über diesen kann jeder Mieter seinen aktuellen Energieverbrauch einsehen, sich Tipps zum Energiesparen holen und auch die im Erdgeschoss stationierten Car-Sharing-Elektrofahrzeuge buchen. Bisher können wir uns über durchweg positive Rückmeldungen der Mieter freuen.

Wie hoch ist der Wartungsaufwand im Aktiv-Stadthaus, z. B. von Lüftungsanlage, Brandschutzklappen, Touchpads etc.?

Die Wartung von außerhalb der Wohnungen ist bei Wohnungsbaugesellschaften ein großes Thema. Im Aktiv-Stadthaus ist eine Wartung von außen möglich, lediglich der Austausch der Abluftfilter in Bad und Küche muss durch die Mieter selbst erfolgen. Die Filter lassen sich einfach ein- und ausbauen und in der Spülmaschine reinigen. Die Zuluft wird zentral bzw. semizentral durch die ABG überwacht, die Brandschutzklappen wurden weitestgehend in den öffentlich zugänglichen Bereichen installiert. Die Heizkosten werden elektronisch erfasst.

Wie lässt sich das Dilemma lösen, dass Wohnungsbaugesellschaften nicht zugleich Stromversorger sein dürfen?

Ziel des Aktiv-Stadthauses ist zum einen, möglichst viel der benötigen Energie für Heizung, Warmwasser, Haushalt etc. am Gebäude selbst zu generieren. Zum anderen soll dieses Energie-Plus möglichst im Gebäude, also durch die Mieter, verbraucht werden. Ein gewisses Strombudget ist – je nach Wohnungs- bzw. Haushaltsgröße – in der Kaltmiete inkludiert. Der Mieter bekommt somit eine gewisse Strommenge von uns geschenkt, verpflichtet sich aber im Gegenzug, den Reststrombedarf über unseren Partner, den regionalen Stromversorger, zu beziehen, zu einem günstigeren Tarif als marktüblich. Es steht aber jedem Mieter frei, sich ab der ersten Kilowattstunde Strom über einen anderen Anbieter zu versorgen.  

Was würden Sie anderen Wohnungsunternehmen empfehlen, die mit dem Gedanken spielen, Geschosswohnungsbau im Effizienzhaus Plus-Standard zu realisieren?

Kurz und knapp drei Punkte: Setzen Sie sich erstens proaktiv mit dem Thema und den angestrebten Energiezielen kritisch auseinander. Zweitens stellen Sie von Anfang an ein sehr gutes Planungsteam – Architektur-, TGA-Büro, Tragwerksplanung – zusammen, um gemeinsam zu konzipieren und die anfangs sehr hoch gesteckten Ziele konsequent umzusetzen. Und drittens seien Sie ein Bauherr, der mitzieht! Auch und gerade der Bauherr spielt eine treibende Rolle, wenn es darum geht, die hohen Ansprüche im Laufe des Planungsprozesses nicht aufweichen zu lassen.

Welche Herausforderungen mussten Sie meistern?

Das Grundstück! Wir hatten keine freie Wahl bei der Gebäudeausrichtung, auch die Verschattung durch die benachbarte Bebauung stellte uns vor die Herausforderung, ob ausreichend Fassadenfläche zur Belegung mit Photovoltaikmodulen zur Verfügung steht.

Und die Umsetzung der Abwassernutzung: Es war ein langer und zum Glück erfolgreicher Prozess, gemeinsam mit der Stadtentwässerung eine Lösung zu finden, mit der auch die im Abwasser lebenden Bakterien zufrieden sind.

Sie betonten in einer im Mai 2015 geführten Diskussion „Die Quadratur des Kreises“ den Stellenwert einer „friedlichen Coexistenz von Wohnen und Gewerbe“. In einer Stadt müsse nicht nur Wohnraum zur Verfügung gestellt werden, sondern eben auch Arbeitsplätze. Haben Sie schon daran gedacht, diese Co-Existenz auch energetisch zu nutzen, für Einzelobjekte aber auch ganze Quartiere?

Ja! Derzeit haben wir ein Quartier in der Entwicklung. Bei diesem Projekt ist natürlich auch eine gebäudeübergreifende Vernetzung anvisiert. Nähere Informationen kann ich Ihnen hierzu leider noch nicht mitteilen.

Nachhaltiges Bauen endet nicht beim Energiestandard des Gebäudes. Inwieweit spielt Mobilität (reduzierter Stellplatzschlüssel, bevorzugte Stellplätze für E-Mobile, Fahrräder, Lastenräder, Car-Sharing etc.) für Sie eine Rolle bei der Errichtung energieeffizienter und nachhaltiger Gebäude?

Wir achten auf jeden Fall auch auf andere Aspekte der Nachhaltigkeit, die über den Energiestandard hinausgehen. Das Thema Fahrradstellplätze ist ja so ein Thema. Sie glauben gar nicht, wie schwer es ist, die in der Hessischen Bauordnung geforderten PKW-Stellplätze abzulösen oder in Fahrradstellplätze umzuwidmen. Gerade in innerstädtischen Lagen benötigen viele der Mieter keinen eigenen PKW-Stellplatz.

Im Aktiv-Stadthaus gibt es eine Car-Sharing-Flotte mit mehreren Elektrofahrzeugen, die durch den Stromüberschuss der Photovoltaikanlage gespeist wird und von den Mietern ganz bequem über das Touchpad-Display in den Wohnungen gebucht werden kann.  

Inwieweit werden bei der Wahl von Konstruktion und Materialien auch Umwelt- und Gesundheitsaspekte geachtet?

Themen wie Materialökologie, Graue Energie, Demontier- und Rezyklierbarkeit stehen immer wieder in unserem Fokus. Wir haben beispielsweise in Kalbach Süd ein Projekt in monolithischer Bauweise errichtet und haben so auf eine zusätzliche Dämmschicht verzichten können.

Haben Sie schon darüber nachgedacht, den Effizienzhaus Plus-Ansatz auch im Bestand anzuwenden?

Ja, das haben wir tatsächlich. 2016 werden wir zwei Wohnblocks aus den 1950ern auf den Effizienzhaus Plus-Ansatz umrüsten.

Protokollführerinnen: Britt Keßling und Maxie Beetz, Informationsstelle Effizienzhaus Plus/ZEBAU GmbH

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