Bereits zum 8. Mal fand im Mai das Wöhler Innovations-Forum mit über 200 Teilnehmern statt. In jedem Jahr behandelt das Forum neue Fachthemen der Branche, so brandaktuell wie diesmal in Nürnberg waren die Vorträge und Diskussionsrunden aber selten:
Erst im April hatte das Kabinett dem Gesetzentwurf zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) zugestimmt. Es sieht vor, dass ab dem 1. Januar 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Die Umsetzung dieser Bestimmung wird in naher Zukunft eine enorme Herausforderung für die Fachhandwerker und ihre Kunden darstellen, so waren sich alle Anwesenden einig. Aus diesem Grund wurde die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion zu den technischen Entwicklungen im Gebäudebereich aufmerksam verfolgt. Vertreter aus Wissenschaft, dem Schornsteinfeger- sowie dem SHK-Handwerk, der Beratungsbranche und der Industrie richteten ihre Forderungen an die eigenen Kollegen ebenso wie an die Politik. Einigkeit herrschte darüber, dass der Klimawandel so schnell wie möglich gestoppt werden muss und die Teilnehmer des Innovations-Forums dazu einen erheblichen Beitrag zu leisten haben. Beim „Wie“ gingen die Ansichten dann zum Teil auseinander.
Prof. Dr.-Ing. Bert Oschatz vom ITG Institut für Technische Gebäudeausrichtung in Dresden berichtete über die neuen Anforderungen des GEG. Das Gesetz habe noch nie so im Fokus der Öffentlichkeit gestanden wie jetzt, da die beabsichtigten Neuerungen gravierende Konsequenzen für die meisten Menschen in Deutschland haben. Die seien aber notwendig, um eine CO2-Neutralität bis 2045 zu erreichen. Für Handwerk, Industrie und Netzbetreiber ergäben sich durchaus große Chancen, wenn sie aktiv würden und sich auf die Veränderungen einstellen, alle anderen Betriebe würden mit Sicherheit untergehen. Dass wir die Klimawende schaffen, sieht er heute etwas optimistischer als vor Jahren, denn die Abkehr von den fossilen Energien habe durch den Ukraine- Krieg einen regelrechten Turbo bekommen. Er ist der Meinung, dass es in einem Jahr keine Lieferprobleme mehr bei Wärmepumpen gebe und dann auch die Preise runtergehen. Aufgabe der Fachhandwerker sei es, dann auch gute Wärmepumpen einzubauen, die effizient arbeiten.
Alexis Gula, Präsident des Zentralinnungsverbandes des Schornsteinfegerhandwerks, wies darauf hin, dass die neue Gesetzgebung dazu führe, dass sein Handwerk aktuell den größten Transformationsprozess seit seinem Bestehen durchlebe. Zurzeit hätten alle Betriebe mehr als genug Arbeit, aber es sei auch klar, dass das neue GEG in seinem Berufsstand vieles verändere. Die Schornsteinfeger seien jedoch in der Lage, sich darauf einzustellen und die Energiewende flächendeckend, unabhängig und kompetent voranzutreiben. Eine große Herausforderung sei die große Verunsicherung vieler Kunden. Hier seien Schornsteinfeger als Experten gefordert, denn in Energiefragen seien sie der erste Ansprechpartner in den deutschen Privathaushalten. „Ganz Deutschland ist unser Kunde“, so Alexis Gula. Die Schornsteinfeger hätten durchaus die Absicht, den vermehrten Einbau von Wärmepumpen positiv zu begleiten. Dabei sehen sie sich aber in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Technik nur dann genutzt werde, wenn sie aufgrund der baulichen Voraussetzungen auch effizient betrieben werden könne. Er spricht sich daher für system-offene Lösungen aus, beispielsweise in Form von hybriden Heizungssystemen und für die weitere Berücksichtigung von Biomasse im ländlichen Raum.
Für das SHK-Handwerk berichtete Claudio Paulus von der SHK-Innung Nürnberg/Fürth und vom Fachverband SHK Bayern, dass die Anforderungen an seine Berufskollegen zurzeit extrem hoch seien. Den anspruchsvollen und zeitintensiven Aufgaben, die sich aus dem neuen GEG ergeben, stünden aber ständige Lieferengpässe in allen Bereichen sowie ein gravierender Fachkräftemangel gegenüber. Er fordert daher mehr Unterstützung der dualen Ausbildung, damit sich technisch begabte junge Leute wieder für das Handwerk interessieren. Zurzeit sei die Abbrecherquote bei den Auszubildenden hoch, weil sie teilweise nicht die richtigen Voraussetzungen mitbringen. Von der Politik erwartet er eine Technologieoffenheit bei den Heizungssystemen, um sinnvoll auf die Gegebenheiten im Gebäude reagieren zu können.
Als Vertreter der Industrie lenkte Johannes Lötfering, Geschäftsführer der Wöhler Technik GmbH, die Aufmerksamkeit auf das gesamte Gebäude. Ein Austausch der Heizung alleine sei in vielen Bestandsgebäuden nicht ausreichend. Ebenso wichtig sei es, die Dichtheit der Gebäudehülle zu verbessern und in der Folge gegebenenfalls eine Lüftungsanlage zu installieren. Der Bauunternehmer und Berater Liborio Manciavillano betonte, dass die Leiter von Handwerksunternehmen vor allem Zeit für die großen Umstellungen benötigen. Dazu müssten sie sich aus dem Tagesgeschäft weitgehend herausziehen. Wenn sie ihren Mitarbeitern gute Strukturen vorgeben, könne dies durchaus gelingen.
Sowohl im Plenum als auch auf dem Podium teilten die Forums-Teilnehmer die Sorge, dass die Maßnahmen im Gebäudebereich soziale Härten und damit gesellschaftliche Unruhen bewirken könnten. Die vom GEG-Entwurf vorgesehene Befreiung von über 80-Jährigen von der Pflicht zu 65 % Erneuerbaren Energien wurde als unzureichend und kaum praktikabel gesehen. Hier müssten staatliche Förderungen sowie die steuerliche Absetzbarkeit von energetischen Maßnahmen die Immobilienbesitzer sinnvoll entlasten.
In den folgenden beiden Forumstagen boten fünf unterschiedliche Workshops die Möglichkeit, in der Podiumsdiskussion aufgeworfenen Fragestellungen im Detail zu betrachten und Lösungsansätze zu erarbeiten. Dabei ging es um technische Möglichkeiten zur Erfüllung der Forderung nach 65 % erneuerbarer Energien ebenso wie um die aktuellen Fördermöglichkeiten. Auch die betriebswirtschaftlichen Seminare waren gut besucht. Viele Teilnehmer klagten über eine hohe Arbeitsbelastung und zeigten großes Interesse an den vorgestellten Möglichkeiten, im Betrieb Strukturen einzuführen, um effizienter und lukrativer zu arbeiten. Dabei wurden unter den Kunden auch ganz praktische Tipps weitergegeben: Einige SHK-Betriebe verlangen inzwischen 200 € für eine Beratung und ein Angebot zur Wärmepumpe. Der Betrag wird dann bei Auftragsvergabe verrechnet. So können sie sich den enormen Zeitaufwand für Angebote mit oft unterschiedlichen Varianten wenigstens bezahlen lassen, wenn der Kunde sich doch noch nicht für eine Wärmepumpe entscheiden will.
Die Erkenntnis aus beiden Tagen: Das Thema „Energiewende“ ist zu komplex, um es den Stammtischen zu überlassen. Vielmehr müssen sich Experten austauschen und zusammenarbeiten, um praktikable Lösungen zu finden. Und Experten waren sowohl die Referenten als auch die anwesenden Fachhandwerker. Einigkeit herrschte bei allen Beteiligten, dass die neuen gesetzlichen Vorgaben sowohl den Handwerksbetrieben als auch der Industrie große Chancen böten, sofern sie bereit für Veränderungen seien und jetzt auch aktiv würden. Dazu ist mehr denn je eine Zusammenarbeit aller im Gebäudebereich beteiligten Gewerke erforderlich, denn Arbeit ist mehr als genug für alle da.
Wie immer gab es für die Begleitpersonen ein ansprechendes Rahmenprogramm mit Planetariumsbesuch und Stadtführung, und hier hat Nürnberg besonders viel zu bieten. Am Abend feierten Teilnehmer und Referenten bei bester Stimmung eine zünftige „blauweiße Nacht“.
Quelle: Wöhler