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Fachbeitrag: REnnovates – schneller mit eigenem Strom heizen

Das Sanierungsprojekt „REnnovates“ stellt Sozialwohnungen in den Niederlanden binnen kürzester Zeit von fossilen Energieträgern auf Nullenergie-Standard mit elektrischer Energie um. Die Investitionen sollen sich auf Dauer selbst tragen.

Ein Fachbeitrag von Reinhard Otter, EEBUS Initiative

Die Notwendigkeit eines aktiven Klimaschutzes ist nicht erst seit dem Jahrhundertsommer 2018 unbestritten. Offen ist vielfach nur der Weg dorthin. Beispiel Niederlande: Bei unseren Nachbarn wurde in den letzten Jahren in einem nationalen Klimakonsens beschlossen, dass der Einsatz fossiler Energieträger wie Erdgas bald Geschichte ist: Bis 2030 sollen mindestens die Hälfte aller Gebäude vom Gasnetz getrennt und mit regenerativ erzeugtem Strom beheizt werden.

In dem nationalen Sanierungsprojekt „Stroomversnelling“ – übersetzt „Stromschnellen“ – werden dort ältere Gebäude energetisch saniert und auf Stromversorgung für Haushalt und Heizung umgestellt. Es wurde von der niederländischen Regierung zusammen mit sechs Immobilienunternehmen sowie den vier größten Baufirmen des Landes ins Leben gerufen und wird im EU-Programm „Horizon 2020“ gefördert. Ambitioniertes Ziel: Bis Ende 2020 sollen so 111.000 ältere Wohneinheiten, überwiegend typisch holländische Reihenhaussiedlungen, auf Null- bis Plusenergiestandard modernisiert sein.

Sozialwohnungen modernisiert aus dem Baukasten

Das Projekt „REnnovates“ ist Teil der Stromschnellen-Sanierungsoffensive und sorgt dieser Tage für Aufsehen. Die Royal BAM Group hat unter diesem Markennamen acht Partnerfirmen aus ganz Europa versammelt und in diesem Verbund ein System entwickelt, das die Anforderungen der Stroomversnelling flächendeckend im sozialen Wohnungsbau einlöst.

REnnovates setzt auf eine Sanierung kompletter Wohnviertel mit standardisierten Komponenten: Jedes Haus erhält eine neu gedämmte und mit Isolierglasfenstern ausgestattete Vorder- und Rückfassade, gedämmte Dachauflagen mit integrierten Photovoltaikzellen sowie ein außen angebrachtes „Energiemodul“ mit der Photovoltaik-, Heiz- und Lüftungstechnik. Daneben werden auch Küche und Bad renoviert. Die Umbauzeit beträgt dank einer umfassenden Vorproduktion aller Teile nur rund acht Tage pro Haus, in denen die Bewohner in ihren Wohnungen bleiben können. Auf diese Weise wurden in den letzten Jahren bereits über 250 Häuser modernisiert.

Rennovates Energiemodul

Das Energiemodul mit Photovoltaik-, Heiz- und Lüftungstechnik (Quelle: REnnovates)

Da die Reihenhäuser zwar ähnlich, aber nicht identisch sind, werden die Bauelemente mit den Methoden des „Building Information Modeling“ (BIM) an die jeweilige Siedlung angepasst. Ein 3D-Scanner erfasst die Häuser, so dass die Produktionsstraße die Fassaden- und Dachelemente technisch und optisch an die Form der Häuser anpassen kann. „Durchschnittlich sind etwa 80 Prozent der Komponenten, Bauteile und Formen bei REnnovates standardisiert. Rund 20 Prozent werden individuell angepasst“, berichtet Dennis van Goch, der technische Projektleiter der Royal BAM Group.

Elektrische Haustechnik mit EEBUS und Energiemanager

Die gedämmte Gebäudehülle spart rund 60 Prozent an Heizenergie ein, berichtet Dennis van Goch. Die übrige Energieversorgung erfolgt elektrisch, weit gehend mit Photovoltaik vom eigenen Dach – und das Energiemodul. Dieser vormontierte Mini-Container beherbergt die komplette neue Haustechnik aus Photovoltaik-Wechselrichter, Hausbatterie, Wärmepumpe und Warmwasserspeicher. Er wird am Haus aufgestellt und innerhalb von rund zwei Stunden an die zentralen Versorgungsanschlüsse angebunden. Möglich wird die elektrische Versorgung aller Anlagen im Haus durch ein vernetztes Energiemanagement vom belgischen Konsortialpartner Enervalis, das möglichst viel Strom vom Dach in die Beheizung des Warmwasserspeichers sowie in die Hausbatterie steckt. Dabei können die Bewohner mitverfolgen, wann sie mit Strom vom eigenen Dach heizen oder waschen.

Rennovates Energiemodul Haus

Das oben abgebildetet Energiemodul am Haus. (Quelle: REnnovates)

Damit sich alle Komponenten der Nullenergiehäuser miteinander verstehen, programmierten die Software-Spezialisten der Kölner KEO GmbH Kommunikationsschnittstellen auf Basis des EEBUS-Standards. EEBUS verbindet alle energierelevanten Systeme und Geräte im Haus über Hersteller- und Systemgrenzen hinweg und bildet so eine unsichtbare Vermittlungsebene zwischen den Komponenten und der Energiemanager-Software. „Die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Systemen und Sektoren mit EEBUS ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für REnnovates“, betont Dennis van Goch von der Royal BAM. „Durch den offenen Standard der EEBUS Kommunikation müssen wir uns auf keine bestimmten Systeme oder Hersteller festlegen und können künftig für jedes Projekt und in jedem Markt die optimalen Komponenten einsetzen.“ So lässt sich etwa das Modell der Wärmepumpe je nach Größe des Hauses oder Kundenwunsch ohne großen Aufwand austauschen.

Quartierplanung in der Smart Neighbourhood

Im REnnovates-Projekt geht die Idee des Energiemanagements noch einen Schritt weiter: Die einzelnen Häuser werden zu intelligenten Wohnquartieren vernetzt. Das ist gerade angesichts der nationalen Pläne besonders wichtig: Mit immer mehr Elektroheizungen und künftig überwiegend elektrischen Autos muss das Stromnetz viel mehr Energie verteilen als bisher. Ohne lokale Erzeugung und eine intelligente Energieverteilung vor Ort würde dies milliardenschwere Netzausbauten erfordern. Bei REnnovates war daher von Anfang an der regionale Stromnetzbetreiber Stedin mit im Boot. Er schließt die einzelnen Wohnviertel zu intelligenten „ Smart Micro Grids“ zusammen.

Rennovates Quartierbatterie

Die REnnovates Quartierbatterie. (Quelle: REnnovates)

An der Übergabestelle zum Netz werden die Informationen über die Energieströme und –Bestände aus allen Häusern von einer Energiemanagement-Zentrale gesammelt und für die Nutzung im Smart Grid aufbereitet. Diese tauscht sich dann mit dem Betreiber des lokalen Netzes ebenfalls in einer gemeinsamen Sprache aus: Im sogenannten USEF-Format (Universal Smart Energy Framework), einer Art Pendant zu EEBUS im lokalen Stromnetz. USEF vermittelt zwischen Erzeugungs- und Speicherkapazitäten sowie Lasten und Verbrauchsanforderungen im Netz. Ziel der Übung: Möglichst viel lokal erzeugte Energie im Quartier zu nutzen oder zu speichern und so die oberen Netzebenen möglichst wenig durch die neuen Stromverbraucher zu belasten.

Im Gegenteil: Das Wohnquartier bietet die Summe seiner elektrisch beheizten Warmwasserspeichern und Hausbatterien dem Netz als flexible Lasten und Energielieferanten an. In einigen REnnovates-Siedlungen wurden auch Quartiersbatterien installiert, um dem Netzbetreiber noch mehr flexible Speicher- und Lastkapazitäten anbieten zu können.

Die Modernisierung trägt sich selbst

Unterm Strich soll REnnovates Vorteile für alle Beteiligten bringen: Immobiliengesellschaften, denen die Wohnsiedlungen gehören, gewinnen durch die Sanierung den generellen Erhalt und eine deutliche Aufwertung der Immobilien. Der notwendige Netzausbau durch die Umstellung auf elektrische Energieversorgung wird begrenzt, während sich für die Bewohner trotz einem verbesserten Wohnkomfort in Euro und Cent nichts ändert.

Die Kosten pro Haus betragen rund 50.000 Euro, die zunächst einmal finanziert werden müssen. Die Tilgung erfolgt einerseits über die längere Nutzung der Immobilien mit gleichbleibenden bis leicht steigenden Mieteinnahme und andererseits über den viel geringeren Bedarf an Energie aus dem Netz. Mieter bezahlen künftig nur noch im Falle von außerordentlichem Mehrverbrauchs eine minimale Stromrechnung. Die Differenz zur bisherigen Strom- und Gasrechnung wird als Servicepauschale für die neue Haus- und Energietechnik erhoben. Diese geht teilweise an die Royal BAM und ihre Partnerunternehmen, die den Betrieb und die technische Wartung der neuen Energietechnik sicherstellen. Im Moment werden die tatsächlichen Energie- und Kostenbilanzen noch ermittelt. Mit in die Berechnung der Rendite fließen dabei auch die potentiellen Kosten für den eingesparten Netzausbau: Die Energiewende hin zur „All Electric“ Versorgung gilt als gesetzt. Eingesparte Investitionen in den Netzausbau durch die Flexibilisierung sind also ein Gewinn für das System.

Auf zwei weniger technische Schwerpunkte legen die REnnovates-Macher besonderen Wert. Erstens: Diese Art der Modernisierung wurde erst möglich, indem sich die Konsortialpartner aus höchst unterschiedlichsten Branchen austauschten und dabei ihre üblichen Denkmuster hinterfragten. Und: Der Bewohner steht bei REnnovates im Mittelpunkt. Das Projekt verbessert die Wohnqualität, senkt die Baukosten gegenüber individuellen Sanierungen, minimiert den Energieverbrauch und macht die Bewohner zu aktiven Teilhabern an der Energiewende – ohne Mehrkosten, die in Sozialwohnungen ja ohnehin nicht machbar wären.

Fazit: Über den Zaun zu schauen, lohnt sich

Wenn man die REnnovates Siedlungen genauer betrachtet, dann entsteht ein recht gutes Bild davon, wie die Energiewende funktionieren kann: Möglichst viel Energie dort erzeugen, wo sie benötigt wird, um kostspielige Netzausbauten zu minimieren. Diese Methode ist in den Niederlanden hoch angesiedelt: Der Minister für Wirtschaft und Klima Eric Wiebes trat beim Abschlussevent der ersten rund 250 REnnovates-Nullenergiehäuser auf und machte sich für weitere „Stroomversnelling“ Projekte stark. Allein 2019 sollen laut Projektleiter Dennis van Goch mindestens weitere 100 Wohneinheiten nach dem Prinzip REnnovates saniert werden.

Rennovates Niedrigenergiehaus

Ein REnnovates-Nullenergiehaus kostet rund 50.000 Euro. (Quelle: REnnovates)

Doch neben dem Netzausbau im großen Stil – siehe Hashtag #NetzeJetzt des Deutschen Wirtschaftsministeriums – wächst auch hierzulande die Erkenntnis, dass eine dezentrale Struktur aus Energieerzeugung und -management wichtig ist, um Angebot und Nachfrage in Zukunft in Einklang zu halten. Dabei spielt die übergreifende Kommunikation zwischen dezentralen Erzeugern wie Windkraft- und PV-Anlagen mit den verschiedenen Verbrauchern über die EEBUS-Technologie eine tragende Rolle. Eine ganze Reihe Pilotprojekte werden derzeit von Mitgliedsfirmen und Arbeitsgruppen der EEBUS-Initiative angeschoben – etwa unter dem Dach des europäischen Förderprogramms Horizon 2020. Ihr Ziel ist es, das Zusammenspiel flexibler Verbraucher mit dezentralen Erzeugungsanlagen und flexiblen Stromtarifen in der Praxis zu untersuchen.

Im norddeutschen Norderstedt etwa stattet ein solches Projekt im Zusammenarbeit mit den dortigen Stadtwerken zunächst 50 Haushalte mit smart steuerbaren Wasch- und Spülmaschinen sowie Trocknern aus, die sich über eine vernetzte Steuerung und flexible Stromtarife ferngesteuert aktivieren lassen. Dank solcher Anreize soll der volatil verfügbare Windstrom der Region effizient und lokal verbraucht werden. In weiteren Schritten des Projektes soll das Energiemanagement auch Wärmepumpen und E-Auto-Ladestationen über flexible Tarife mit günstigem Strom aus der Nachbarschaft versorgen. Die Erkenntnisse aus solchen Projekten sind wiederum essentiell, um die politischen Entscheider davon zu überzeugen, dass solche flexiblen Tarife in der Breite sinnvoll sind. Denn Stand heute sind sie regulatorisch noch gar nicht offiziell vorgesehen.

Das REnnovates Konsortium hat indes Niederlassungen in mehreren Ländern eröffnet, um das Konzept der systematischen und bezahlbaren energetischen Modernisierung in andere Märkte zu übertragen. In Belgien arbeitet REnnovates derzeit an einem Prototyp für dortige Wohnbauten. Hierzulande ist die Deutsche Energieagentur DENA damit beschäftigt, das Prinzip der industriellen, energetischen Sanierung unter dem Begriff „Energiesprong Deutschland“ auf den hiesigen Wohnbau zu übertragen. Auch das EU-Programm Energiesprong hat seinen Ursprung in den Niederlanden. Es ist eine Art Dachmarke der dortigen Stroomversnelling-Projekte. REnnovates schließlich ist eine besonders weit entwickelte Variante davon.

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