Schaut man aus heutiger Perspektive auf den Stand der raumweisen Lüftung in Wohnungen, sieht man einerseits eine durch die Vermeidung von Feuchteschäden und andererseits durch den Willen zur Energieeinsparung getriebene Entwicklung. Lässt man die Entwicklung der letzten Zeit Revue passieren, lassen sich Vor-und Nachteile raumweiser Lüftungsgeräte erkennen und mögliche Trends in der Zukunft ableiten. Ein Fachbeitrag von Prof. (em.) Dr.-Ing. Rainer Agsten (HTWK Leipzig) und Prof. Dr.-Ing. Thomas Hartmann (ITG Dresden).
Der Beitrag ist zuerst in der GI 3/17 erschienen.
„Wenn Sie die Frage der künstlichen Ventilation quantitativ erfassen, dann schützen Sie sich von vornherein vor einer Reihe von Irrthümern“, dieser Satz Pettenkofers auf einem Vortrag vor der Albertgesellschaft 1872 in Dresden [Pettenkofer] könnte ihn nicht nur als den bekannten Begründer der Lufthygiene im Gebäude erscheinen lassen, sondern auch als frühen Verfechter einer ventilatorgestützten Lüftung.
Heute, fast 150 Jahre nach Pettenkofers Vortrag, vom Ansatz her kaum noch zu diskutieren, unterscheiden sich noch die Methoden der erfolgreichen und „preiswerten“ Realisierung der Lüftung. Blickt man zunächst ein wenig zurück, so lassen sich etwa ab den frühen 90er Jahren in Deutschland im Wesentlichen zwei argumentative Ausgangspunkte erkennen. Da sind zum einen die nach Modernisierungsmaßnahmen zu nun weitgehend luftdichten Gebäudehüllen gehäuft auftretenden Feuchteschäden, die zum manifesten Schimmelpilzbefall führten. Hier halfen Maßnahmen wie vom Nutzer selbst durchgeführte oder vom Hersteller schon vorgesehene Maßnahmen wie Dichtungsausnahme an den Fenster-Lippendichtungen oder gar die etwas hilflose Empfehlung des regelmäßigen Stoßlüftens nur unvollkommen, vom Aspekt unkontrollierter Energieverluste noch ganz abgesehen (siehe Bild 1).
Bild 1: Einflussgrößen auf die Schimmelbildung.
Schnell entstand der Gedanke der feuchtegeführten Lüftung, Geräte dieser Art konnten wirksam schon beim energetischen Sollzustand von Gebäuden um die Jahrtausendwende nicht nur Feuchteschäden verhindern, sondern einen Beitrag zur Heizenergieeinsparung liefern. Hier haben dezentrale Geräte wegen ihrer raumweisen Wirkungsweise schon einen nicht geringen Einsatzvorteil, wenn auch Ober- und Untergrenzen des Luftwechsels beachtet werden. Zum anderen sind es energetische Aspekte, die mit fortschreitender Wärmedämmung der Gebäude und dem infolgedessen markant steigenden Anteil der Lüftungswärmeverluste immer deutlicher wurden (siehe Bild 2).
Bild 2: Anteil der Lüftungswärmeverluste an den Gebäudewärmeverlusten mit fortschreitendem Energiesparrecht.
Der im Bild dargestellte Nutzereinfluss auf die Lüftungswärmeverluste zeigt die Schwierigkeiten der in den Energiebilanzen üblichen Rechenwerte. Bei zu geringer Lüftung erhält der Nutzer immerhin noch das Signal „schlechter“ Luft oder aber der späteren Schimmelpilzbildung. Bei Lüftung über dem der Rechnung zugrundeliegenden Wert bemerkt er es nur an der Heizkostenabrechnung, ohne eine Information zur Ursache zu erhalten. Im Extremfall hat er ein Niedrig- oder Niedrigstenergiehaus gekauft, ohne es als solches zu betreiben. Abhilfe schafft in beiden Fällen nur bedarfsgeführte Wohnungslüftung, idealerweise in Kombination mit Wärmerückgewinnung. Bald konkurrierten hier zentrale Systeme für die gesamte Wohnung bzw. das Gebäude und dezentrale, raumweise Geräte. Etwa um das Jahr 2000 sollten sich auch Letztere am Markt etabliert haben.
Ein interessanter Entwicklungsgedanke war dabei, dem Fenster die alte Lüftungsfunktion zurückzugeben, allerdings im genau erforderlichen Maß und unabhängig vom Nutzer. Luftführung einschließlich Ventilator, Wärmerückgewinnung und Sensorik sind im Rahmen des nach wie vor zu öffnenden Fensters untergebracht. Für Wärmedämmung sorgt der spezielle Rahmenwerkstoff. Am Markt haben sich eine Reihe ähnlicher Lösungen für fensterintegrierte/ fensternahe dezentrale Lüftungsgeräte etabliert (siehe Bild 3a + 3b).
Bild 3a: Funktionsprinzipien von fensterintegrierten / fensternahen dezentralen Lüftungsgeräten. (Quelle: REHAU AG + Co)
Bild 3b: Funktionsprinzipien von fensterintegrierten / fensternahen dezentralen Lüftungsgeräten. (Quellen: links Schüco International KG; Mitte und rechts SIEGENIA-AUBI KG)
Insbesondere für den Sanierungsfall oder den Neubau, wenn leicht anpassbare Fensterabmessungen gegeben sind, werden auch Systeme angeboten, die unterhalb der Fensterbank, seitlich oder oberhalb des Fensters angebracht sind. Auch der Gedanke automatischer Fensteröffnung wird mit der Ausrichtung auf die Lüftung zum Feuchteschutz verfolgt [Eicker], bietet allerdings Richtung Wärmerückgewinnung und Schall keine Ansatzpunkte. Der überwiegende Teil dezentraler Wohnungslüftungssysteme ist heute aber gänzlich fensterunabhängig und arbeitet mit durch Kernbohrungen hergestellten Außenwanddurchbrüchen, an oder in denen die Wärmerückgewinnungstechnik untergebracht ist. Dabei werden Plattenwärmeübertrager (siehe Bild 4) oder alternierend durchströmte keramische Wärmespeicher (siehe Bild 5) eingesetzt.
Bild 4: Dezentrale Außenwand-Geräte mit Plattenwärmeübertrager. (Quellen: links SIEGENIA-AUBI KG; rechts LUNOS Lüftungstechnik GmbH für Raumluftsysteme)
Bild 5: Dezentrale Außenwand-Geräte mit Wärmespeicher. (Quellen: links inVENTer GmbH; rechts LUNOS Lüftungstechnik GmbH für Raumluftsysteme)
Bei Geräten mit Plattenwärmeübertragern haben sich in den letzten Jahren auch Geräte mit Nebenraumanschluss am Markt etabliert. Die Abluft wird dann nichtdirekt aus dem Aufstellraum des Gerätes, sondern mit einer kurzen Anschlussleitung aus einem benachbarten Raum wie Küche oder Bad abgesaugt. Damit ist z.B. für kleine 1-Raum-Wohnungen die komplette Lüftung der Wohnung mit nur einem dezentralen Lüftungsgerät denkbar. Geräte mit Wärmespeichern werden heute in Deutschland üblicherweise als Pendellüfter oder Push-Pull-Geräte bezeichnet. Deren Besonderheit ist die übliche Anordnung von jeweils einem Gerät pro Raum. Die Geräte arbeiten paarweise und gegensätzlich im Abluft-/Zuluftbetrieb und werden nach etwa 70 Sekunden umgeschaltet [Zehnder], (siehe Bild 6).
Bild 6: Luftführung alternierende Lüftungsgeräte.
Große Unsicherheiten beim Einsatz von dezentralen Lüftungsgeräten bezüglich der Lüftungseffektivität bestehen allerdings offensichtlich bis heute. Mögliche Kurzschlusseffekte auf der Innen- und Außenseite der Fassade bei Zu-/Abluftgeräten mit Plattenwärmeübertrager einerseits und die Druckstabilität der Axialventilatoren sowie die Wirksamkeit der Gebäudedurchströmung bei alternierenden Lüftungsgeräten andererseits sind bisher nicht systematisch untersucht. In [Richter] wird aber nachgewiesen, dass gut konstruierte Zu-/Abluftgeräte durchaus hinsichtlich der Lüftungswirksamkeit im Vergleich mit zentralen Systemen bestehen können.
Die energetische Bilanzierung der Lüftungssysteme für Wohngebäude kann nach Energieeinsparverordnung auf Basis einschlägiger und gut dokumentierter Kennwerte [TZWL], wie Anlagenluftvolumenstrom, Wärmebereitstellungsgrad und spezifischer Ventilatorleistung erfolgen. Für dezentrale Wohnungslüftung ist zu beachten, dass auch eine flächenanteilige Bonifizierung (sogenannte Teillüftung) zulässig ist, wenn beispielsweise nicht alle Räume mit dezentralen Lüftungsgeräten mit Wärmerückgewinnung ausgestattet sind. Ab 2016 gelten in Europa auch für Wohnungslüftungsgeräte Ökodesign-Anforderungen. Auch wenn für dezentrale Wohnungslüftungsgeräte wegen der geringen elektrischen Leistungsaufnahme < 30 W je Luftstrom kein Label gefordert wird, gilt trotzdem eine Informationspflicht. Sowohl für Fachleute als auch für Laien wird dadurch eine höhere Markttransparenz angestrebt.
Ein typischer Einsatzfall für dezentrale Lüftungsgeräte ist die punktuelle Nachrüstung in Schlafräumen, die z. B. wegen erhöhten Außenlärms (z. B. in der Nähe von Flughäfen oder Autobahnen) nur eingeschränkt fenstergelüftet werden können. Schlafräume sind als schutzbedürftige Zonen zu behandeln, geringe Geräuschpegel sind maßgeblich für die Nutzerakzeptanz. Die normativen Anforderungen an den tolerierbaren Geräuschpegel aus Lüftungsanlagen sind entsprechend hoch und bewegen sich in einer Größenordnung von 20 bis maximal 35 dB(A), siehe u.a. [DIN 4109], [VDI 4100] und [DIN EN 15251]. Die dauerhafte Einhaltung der Schallschutzanforderungen hat hohe Priorität und stellt große Ansprüche an die Konstruktion der Lüftungsgeräte (Schalldämmung) und insbesondere der Ventilatoren (Schallemission).
Insbesondere bei Geräten mit Plattenwärmeübertrager sind zusätzliche thermodynamische Effekte, nämlich Kondensatanfall und Vereisungsrisiko, zu beachten. Bei Einsatz dezentraler Lüftungsgeräte ist eine direkte Ableitung des anfallenden Kondensats in das Entwässerungssystem des Gebäudes aufgrund der bevorzugten Anordnung der Lüftungsgeräte in den Schlaf- bzw. Aufenthaltsräumen im Regelfall schwierig. Alternative Lösungen, wie die Anordnung einer Kondensatwanne oder die Abführung des Kondensats nach außen, sind von den technischen Parametern des Geräts (Luftvolumenstrom, Wärmebereitstellungsgrad) abhängig. Auch sind praktische Aspekte wie Wasserspuren oder Eiszapfenbildung zu beachten. Die im Bereich zentraler Geräte übliche zeitweise Abschaltung oder Reduzierung der Zuluft könnte im Sinne einer Anpassung der Wärmerückgewinnung eine Problemlösung sein, die genauere Betrachtungen rechtfertigt. Eine der umfassendsten Bewertungen dezentraler Lüftungstechnik erfolgte in den frühen 2000er Jahren in [Hartmann]. Zusammenfassende Darstellungen sind auch in [Höß], [Heinz] und [Richter] zu finden. Vor- und Nachteile dezentraler Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Für eine Produktübersicht sei auf [Markt] und [TZWL] verwiesen, Hinweise zu einschlägigen Herstellern finden sich in [FGK].
Tabelle 1: Dezentrale Systeme der Wohnungslüftung – Vorteile und Nachteile gegenüber zentralen Systemen.
Welche Trends sind für die nahe Zukunft zu erwarten?
Sicher wird auch in der Lüftung das Thema Smart Home weiter Fahrt aufnehmen. Neben dem Appbasierten vereinfachten Zugriff der Nutzer auf die Lüftungsgeräte sind hier insbesondere
- eine standardmäßig praktizierte Bedarfslüftung (sensorgesteuerte Regelung der Luftvolumenströme nach geeigneten Führungsgrößen wie Feuchte und CO2) sowie
- eine verbesserte Systemintegration (Lüftung und Heizung, Lüftung und Feuerstätten, Lüftung und „konkurrierende“ Lüftungssysteme wie Bad-Entlüfter oder Fensterlüftung) wünschenswert.
Heute schon aktuelle Themen wie zu trockene Luft im Winter und steigende Erwartungen an den Schallschutz bedürfen noch innovativer ingenieurtechnischer Lösungen. Auch die Preisentwicklung wird uns weiter beschäftigen und hoffentlich kann zukünftig die durch Investitions- und Wartungskosten bestehende Hemmschwelle gesenkt werden. Um auf Pettenkofer zurückzukommen: So engagiert er sich für die „künstliche Lüftung“ einsetzte, sollte es doch heute unter dem Gesichtspunkt modernen Bauens breiter Konsens aller Marktteilnehmer sein, dass sich der große Hygieniker in einem Punkt irrte: „Unsere gewöhnlichen Wohnhäuser brauchen keine künstliche Ventilation, diese sollten wir niemals so überfüllen, dass die natürlichen Mittel der Ventilation [...] nicht mehr ausreichen [...]“.
Literatur
[DIN 4109] DIN 4109-1:2016: Schallschutz im Hochbau – Teil 1: Mindestanforderungen. Beuth-Verlag, Juli 2016.
[DIN EN 15251] DIN EN 15251:2012: Eingangsparameter für das Raumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden – Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik, Beuth-Verlag, Dezember 2012.
[Eicker] Eicker, U.; Schulze, T.; Reine, T.: Automatische Fensterlüftung ermöglicht nutzerunabhängigen Mindestluftwechsel. Moderne Gebäudetechnik 67(2013)9, S. 70-72.
[FGK] Fachverband Gebäude-Klima e.V.: Wegweiser durch die Klima- und Lüftungsbranche, Ausgabe 2017, Bietigheim-Bissingen.
[Hartmann] Hartmann, T.; Gritzki, R.; Müller, I; Richter, W: Einsatzmöglichkeiten und -grenzen von dezentralen Lüftungsgeräten. BundesbauBlatt, (2004)10, S. 34-39.
[Heinz] Heinz, E.: Wohnungslüftung – frei und ventilatorgestützt. Berlin Wien Zürich, Beuth Verlag GmbH, 3. Aufl. 2016.
[Höß] Höß, A.: Lüftungsanlagen für Wohnungen, Konzepte und Praxisbeispiele nach DIN 1946-6. Berlin Wien Zürich, Beuth Verlag GmbH 2013.
[Markt] Marktübersicht – Kontrollierte Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung, Moderne Gebäudetechnik 68(2014)5, S. 51-57.
[Pettenkofer] Pettenkofer, M. von: Über das Verhalten der Luft zum Wohnhause des Menschen. In: Beziehungen der Luft zu Kleidung, Wohnung und Boden. Braunschweig: Vieweg und Sohn 1872.
[Richter] Richter, W.; Ender, T.; Gritzki, R.; Hartmann T.: Bewertung von dezentralen Lüftungsgeräten für Wohngebäude sowie Bestimmung von Aufwandszahlen für die Wärmeübergabe im Raum infolge Sanierungsmaßnahmen, Fraunhofer IRB-Verlag, Stuttgart, 2004.
[TZWL] Europäisches Testzentrum für Wohnungslüftungsgeräte e.V.: TZWL-@Bulletin, Nr. 14, Dortmund 2016, www.tzwl.de/tzwl-ebulletin.
[VDI 4100] VDI 4100:2012: Schallschutz im Hochbau – Wohnungen – Beurteilung und Vorschläge für erhöhten Schallschutz, Beuth-Verlag, Oktober 2012.
[Zehnder] Dezentrale Lüftungslösung für paarweisen Betrieb, KI Kälte Luft Klimatechnik 52(2016)5, S. 34.