Ein Großteil des Dekarbonisierung-Potenzials der Industrie bleibt ungenutzt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Kurzgutachten im Auftrag des Bundesverbands Erneuerbare Energie und der Hannover Messe.
Anteil an Erneuerbaren nur bei sechs Prozent
Das Gutachten „Strategische Optionen zur Dekarbonisierung und effizienteren Nutzung der Prozesswärme und –kälte“ hatte das Hamburg Institut erstellt. Demnach könnten Solarthermie, Wärmepumpen, feste, flüssige und gasförmige Biomasse sowie Geothermie bereits heute zur vollständigen oder teilweisen Dekarbonisierung vieler Prozesse beitragen. „Lediglich knapp Prozent der Prozesswärme werden heute durch erneuerbare Energien erzeugt“, so die Studienautoren. Dem gegenüber stehe das große Potenzial zur Integration Erneuerbarer Energie in allen Industriezweigen, von der Nahrungsmittelproduktion über die Chemie bis zur Metallverarbeitung.
Allein das wirtschaftlich zu hebende Effizienzpotenzial im Brennstoffbereich der Industrie beläuft sich dem Gutachten zufolge auf rund 10 Prozent des gesamten aktuellen Prozesswärmebedarfs. Grundsätzlich sei das Dekarbonisierungspotenzial im niedrigen Temperaturbereich am einfachsten zu erschließen. Im mittleren und hohen Temperaturniveau ließen sich „gute Erfolge“ zumindest in der Teil-Dekarbonisierung erreichen. „Für Hochtemperaturprozesse besteht noch Forschungsbedarf“, räumen das Hamburg Institut in dem Gutachten ein. „Mit Energieeffizienzmaßnahmen, verstärkter Abwärmenutzung und dem Einsatz von Biomasse und Strom kann aber schon heute begonnen werden.“
Benötigte Prozesswärme nach Branchen
Ernährung: bis 250 Grad Celcius
Chemie: bis über 1000 Grad Celcius
Grundstoffverarbeitung: bis 500 Grad Celcius, vereinzelt darüber
Kraftfahrzeug- und Maschinenbau: bis 500 Grad Celcius, vereinzelt darüber
Hochtemperaturanwendungen: (bei Metall, Glas und Keramik): bis 3000 Grad Celcius
Der BEE-Fahrplan zu Dekarbonisierung der Prozesswärme (© Hamburg Institut / BEE)
Fehlende politisch-wirtschaftliche Rahmenbedingungen
„Da mehr als 20 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs auf industrielle Prozesse zum Wärmen und Kühlen fallen, liegt hierin ein maßgebliches Potenzial gleichermaßen für die Innovation und den Klimaschutz“, sagt BEE-Geschäftsführer Peter Röttgen. Seit Jahren stagniere der Anteil Erneuerbarer Energie in der prozessualen Wärme und Kälte auf niedrigem Niveau. „Ein direkter Einsatz erneuerbarer Energien in der Prozesskälte findet faktisch nicht statt.“ Auch die Wärme im Gebäudebereich basiere heute vorrangig auf fossilen Energieträgern. Die Studienautoren führen verschiedene Gründe an, warum der Anteil an Erneuerbaren Energien in der Prozesswärme konstant stagniert: „Neben fehlenden politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind die Ursachen insbesondere im mangelnden Wissen, andere Investitionsprioritäten bei den Entscheidungsträgern und wirtschaftliche Unsicherheiten zu nennen“, so die Analyse im Gutachten.
Mit einer CO2-Bepreisung und weiteren Maßnahmen wie energieorientiertem Planen und Bauen sowie finanziellen Anreizen ließen sich schnell Erfolge erzielen, betont der Bundesverband Erneuerbare Energie. Unterstützend wäre nach Ansicht des Verbands zudem die Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie in Deutschland, was bislang nicht erfolgt ist. Dass die Thematik der Dekarbonisierung in der Industrie langsam an Gewicht gewinnt, hatte zuletzt das Projekt „Solar Payback“ des Bundesverbandes Solarwirtschaft e.V. gezeigt. Damit soll die Aufmerksamkeit auf die Solartechnologie bei industrieller Anwendung gelenkt werden. (aho)