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getAir, Wohnraumlüftung

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Dr. Robert Heinze, Leiter für Forschung und Entwicklung bei getAir, stellt sich im GI-Interview Fragen zu aktuellen Marktentwicklungen in der Wohnraumlüftung. Er äußert sich zu den Anforderungsprofilen energetischer Bauweisen und ihren Auswirkungen auf die moderne Klimatechnik. Dr. Heinze wirft auch einen Blick in die Zukunft und geht unter anderem der Frage nach, welche Bedeutung die Aspekte Optik und Akustik bei dezentralen Lüftungsgeräten haben werden.

Das Experten-Interview ist zuerst in der GI 5/17 erschienen.

Was spricht dafür, ein Haus oder eine Wohnung nicht nur manuell, sondern auch kontrolliert über eine Lüftungsanlage zu belüften?

Die Dämmung von Gebäuden wird stetig verbessert. Das hält zwar die Wärme im Haus, doch dadurch entfällt die Luftzirkulation durch undichte Gemäuer oder Fenster. Verbrauchte, feuchte Luft kann nicht mehr nach außen entweichen und die Frischluft nicht mehr in den Wohnbereich gelangen. Hinzu kommt, dass die Energieeinsparverordnung in § 6 (Dichtheit, Mindestluftwechsel), Absatz 2, einen Mindestluftwechsel vorschreibt. Dafür müssten die Fenster regelmäßig – alle zwei Stunden je 15 Minuten lang – geöffnet werden. Dies ist nicht nur für Berufstätige eine große Herausforderung. Durch die Fensterlüftung entweicht zudem ein Großteil der Wärme, die durch dreifach verglaste Fenster und doppelte Dämmung in der Wohnung verbleiben sollte.

Deshalb ist eine kontrollierte Belüftung die Grundvoraussetzung für behagliches Wohnen. Sauerstoffhaltige Atemluft mildert Stresssymptome und verbessert das allgemeine Wohlbefinden. Durch kontrollierte Belüftungssysteme geht die Wärme im Wohnbereich nicht verloren, sondern wird „zurückgewonnen“, was eine Einsparung von Heizkosten garantiert. Dank der integrierten Sensorik muss sich der Endverbraucher zudem keine Gedanken mehr über eine optimale Belüftung machen – das Lüftungsgerät stellt vollkommen automatisch den richtigen Modus ein. Außerdem bietet die kontrollierte Belüftung Sicherheit und Schutz, da die Fenster geschlossen bleiben. Auch für Allergiker ist eine kontrollierte Wohnraumlüftung geeignet, denn die Staub- und Pollenbelastung wird durch den eingebauten Pollenfilter deutlich reduziert.

Welche zukünftige Bedeutung messen Sie den Themen Optik und Akustik eines dezentralen Lüftungsgeräts bei?

Neben dem Leistungs- und Größenaspekt werden künftig insbesondere der leise Betrieb und die Unauffälligkeit von Lüftungssystemen eine Rolle spielen. Im Detail bedeutet dies, dass möglichst keine Bauelemente – wie beispielsweise Luftauslässe – von außen an der Fassade sichtbar sind und sich im Innenraum möglichst dezent ins Gesamtbild des Wohnraums einfügen sollten, sodass sie nicht als störende Objekte empfunden werden.
Damit ein Lüftungssystem als leise wahrgenommen wird, müssen nicht nur die entstehenden Eigengeräusche geringgehalten werden. Ebenso wichtig ist es, dass der Außenschall stark reduziert wird, was vor allem an stark befahrenen Straßen enorm wichtig ist. Je geringer die an der Innenblende austretende Schallentwicklung, umso leiser wird die kontrollierte Lüftung vom menschlichen Ohr wahrgenommen.

Als eines der Hauptargumente gegen dezentrale Pendellüfter wird die gegenüber zentralen Systemen geringere Lüftungseffektivität diskutiert. Durch die vergleichsweise kurze Betriebszeit in einer Richtung soll keine vollständige Erneuerung der Raumluft erfolgen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Leider kursieren diese Aussagen immer noch sehr hartnäckig – gerade bei zentralen Herstellern – dass dezentrale Pendellüfter durch den Richtungswechsel für nicht genügend Luftaustausch sorgen.
Untersuchungen, wie die von Dr. Alexander Merzkirch (vgl. Dissertation: „Energieeffizienz, Nutzerkomfort und Kostenanalyse von Lüftungsanlagen in Wohngebäuden: Feldtests von neuen Anlagen und Vorstellung bedarfsgeführter Prototypen“) konnten belegen, dass auch mit dezentralen Pendellüfter-Systemen eine hohe Lüftungseffektivität erreicht wird. Die Innenblenden von getAir beispielsweise unterstützen diesen Prozess zusätzlich, da die Frischluft über die einseitige Öffnung der Blende weit in den Raum befördert wird, bevor im nächsten Abluftzyklus die verbrauchte Luft aus dem Nahfeld von allen Seiten angesaugt und abtransportiert wird.

Eine Vermischung der Zuluft- und Abluftvolumenströme kann so effektiv vermieden werden. Hier wird ein einfacher physikalischer Effekt ausgenutzt: Kerze auspusten geht, Kerze aussaugen geht nicht. Insgesamt entsteht so eine langsam rotierende Raumwalze, die die Raumluft erneuert. Die in der DIN 1946-6 festgelegten Luftmengen sind für ein behagliches Wohnklima völlig ausreichend. Höhere Luftmengen, wie sie von den zentralen Herstellern zum Teil propagiert werden, führen hingegen eher zu Zugerscheinungen, trockener Luft im Winter und geringerer Energieeinsparung.

Entscheidend für die Kosten der dezentralen Systeme ist die Anzahl der je Nutzungseinheit eingebauten Geräte. Wie viele Pendellüfter werden in einer Mehrfamilienhauswohnung bzw. in einem freistehenden Mehrfamilienhaus üblicherweise installiert? Ist für jedes Bad bzw. jede Toilette jeweils ein Paar Pendellüfter vorzusehen?

Wir nehmen ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus mit sechs Wohneinheiten an, wobei jede Wohneinheit 60 – 70 m² Nutzungsfläche fasst. Demnach werden pro Wohneinheit vier Pendellüfter benötigt. Meist werden zwei Lüfter im Wohnzimmer und jeweils ein Lüfter in den weiteren Räumen verbaut. Bei hohen energetischen Anforderungen können auch ein bis zwei Systeme im Bad verbaut werden. Jedoch wird in der Praxis eher auf ein klassisches Abluftsystem zurückgegriffen. Durch die temporäre Abluft einer solchen Anlage entsteht dort kurzfristig ein Unterdruck, der jedoch durch die dezentralen Systeme ausgeglichen wird. Diese fördern automatisch mehr Luft in die Wohneinheit und versorgen so Bad und Toilette mit neuer Frischluft.

Aus Kostengründen wird vermutlich nicht jeder Nebenraum mit einem Pendellüfter ausgestattet. Treten dadurch im Praxisbetrieb Probleme auf?

In der Wohnraumlüftung unterscheiden wir nach Zuluft- und Ablufträumen. Alle Feuchteräume, wie z.B. Bad, Küche und Waschraum, werden meist nutzungsabhängig mit feuchtegesteuerten Abluftsystemen ausgestattet, welche preislich wesentlich günstiger sind als dezentrale Geräte mit Wärmerückgewinnung. Flure und Zwischenräume werden durch Überströmung ausreichend mit Frischluft versorgt, sodass dort der Einbau von zusätzlichen Geräten entfällt. Grundsätzlich werden lediglich alle Zuluftbereiche, wie Wohnzimmer, Schlaf- und Kinder-/ Arbeitszimmer mit dezentralen Wohnraumlüftern ausgestattet, da man sich hier etwa 90 % des Tages aufhält. Aus der Praxis sind mir nach dieser Vorgehensweise keine Probleme bekannt.


Die Wärmerückgewinnungsgrade dezentraler Lüftungssysteme sind in der Regel geringer als bei zentralen Systemen. Welche technischen Entwicklungen sind hier noch zu erwarten?

Die Unterschiede sind heutzutage gering, zumal die bei zentralen Systemen hohen Wirkungsgrade zu einem häufigeren Einsatz des Vorheizregisters im Winter führen. Je höher der Wirkungsgrad zentraler Systeme, desto höher der Feuchtigkeitsanfall durch Kondensation im Wärmeübertrager. Das Vorheizregister soll ein Einfrieren und damit ein mögliches Platzen des Wärmeübertragers bei geringen Außentemperaturen verhindern. Es hat jedoch einen extrem hohen Stromverbrauch, welcher energetisch bisher kaum berücksichtigt wurde. Bauartbedingt können Pendelsysteme mit einem regenerativen Wärmeübertrager bei Temperaturen bis zu -15 °C nicht zufrieren.
Zukünftig wird der Wirkungsgrad, meiner Meinung nach, nur noch um 1 – 2 Prozentpunkte steigen. Dann geht es vorrangig um die automatische Regelung sowie die Einbindung der Systeme in eine Smart-Home-Umgebung.

Neben den lüftungstechnischen Aspekten spielen auch die Aspekte der thermischen Behaglichkeit eine große Rolle im Gebäudebereich. Durch dezentrale Lüftungsgeräte liegen hier oftmals suboptimale Verhältnisse vor. Welche Fortschritte gibt es auf diesem Gebiet?

Die dezentralen Systeme haben sich in den letzten Jahren stark verbessert. Wir waren immer darauf bedacht, das Beste für den Kunden aus diesem System herauszuholen. So muss ich Ihnen nach heutigem Standard der dezentralen Technik eher wiedersprechen. Durch das dezentrale Prinzip der Querlüftung und den verhältnismäßig geringen Volumenströmen vermeiden wir Zugerscheinungen im Raum. Es entsteht lediglich ein leichter Zug direkt am Luftein- und -auslass. Zusätzlich empfehlen wir für eine optimale Durchströmung der Wohneinheit, dass die Systeme 30 – 50 cm unterhalb der Decke angebracht werden, um so den Coandă-Effekt zu nutzen.

Die Luft fällt nicht sofort nach unten, sondern strömt zunächst weit in den Raum hinein, bevor diese dann vor allem aufgrund thermischer Effekte langsam nach unten sinkt. Seit diesem Jahr lassen sich alle getAir-Systeme aus der SmartFan-Serie mit einem Sensor aufrüsten, der sowohl die Feuchte, als auch die Temperatur von innen und außen misst und die Volumenströme sowie den Lüftungsmodus dementsprechend anpasst. Ist es beispielsweise im Haus zu trocken und außen feuchter, wird der Volumenstrom erhöht. Zusätzlich lassen sich die Wohnräume über die Steuerung in Zonen unterteilen, so kann jede Zone, wie Wohnzimmer oder Schlafzimmer, zur gleichen Zeit bedarfsgerecht belüftet werden.

In Skandinavien geht die Lüftungstechnik den Weg der „Personal Ventilation“. Sehen Sie derartige Ansätze auch für den zentraleuropäischen Markt?

„Personal Ventilation“ sehe ich persönlich nicht im Bereich der Wohnungslüftung, da es sich bei dieser Art um eine stetig andauernde direkte Belüftung in einem kleinen Aufenthaltsbereich handelt. In der Wohnung kommt diese Art des Aufenthalts so gut wie nicht vor. Bei der Wohnraumlüftung geht es darum, einen regelmäßigen Luftaustausch mit möglichst geringem Energieaufwand zu leisten, um Feuchte, Gerüche und andere belastende Stoffe abzutragen.
Das Einsatzgebiet der „Personal Ventilation“ beinhaltet vorrangig Büros oder öffentliche Bildungseinrichtungen sowie Krankenhäuser. In Spezialfällen wäre eine Integration des Systems in ein bestehendes Lüftungssystem denkbar, wenn man von zu Hause arbeitet und eine besonders hohe Anforderung an eine direkte Frischluftzufuhr stellt.

Hinsichtlich der Regelungstechnik von Lüftungssystemen werden derzeit in der Fachwelt instationäre Betriebsweisen diskutiert, die vom Nutzer vorteilhaft eingeschätzt werden und zu Energieeinsparungen führen. Können dezentrale Lüftungsgeräte dies in ähnlicher Weise realisieren oder gibt es hier technische Grenzen?

Alle Pendelsysteme basieren auf der instationären Betriebsweise. Die Luft wird durch den reversierbaren Axialventilator im Wechselbetrieb gefördert. Durch die geringere Fördermenge und die instationäre Betriebsweise wird, wie bereits erwähnt, eine Quelllüftung erzeugt. Durch die geringe Leistungsaufnahme von durchschnittlich nur 2,6 Watt arbeiten unsere Systeme dabei äußerst energiesparend.

Welche negativen Aspekte der Wohnungslüftung durch technische Anlagen sind Ihnen bekannt und welche Lösungen bieten sich an?

Unserer Erfahrung nach müssen Wohnungslüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung bezahlbar, einfach und flexibel sein. Leider erfüllen bisher weitverbreitete, zentrale Systeme diese Anforderungen nicht ausreichend. Im Vergleich zu dezentralen Systemen sind sie wesentlich aufwendiger zu planen und zu installieren. Ihre Luftleitungen können nicht in vollem Maße oder nur sehr kostenaufwendig hygienisch gereinigt werden. Eine Lösung bieten kompakte, dezentrale Pendellüfter-Systeme im paarweisen Betrieb. Sie können – bei einem sehr geringen Rohrdurchmesser – mit einer einfachen Kernbohrung durch die Außenwand installiert werden. Die Komponenten werden nacheinander eingeschoben, fertig. Sie benötigen keine aufwendige Verrohrung oder viel Platz für die Lüftungsanlage bei kleineren Wohneinheiten. Die Endnutzer können sie über den Innenraum völlig eigenständig und werkzeuglos reinigen. Die dezentralen Systeme sind somit unserer Erfahrung nach in ihren Anschaffungs- und Folgekosten unschlagbar.

Wie schätzen Sie die künftigen Entwicklungen auf dem Gebiet der kontrollierten Wohnungslüftung ein?

Es zeigt sich eine wachsende Tendenz hin zu kleineren Wohnungen, wie Single-Apartments, mit Wohnflächen meist unter 60 Quadratmetern. Deshalb führt insbesondere in der energetischen Sanierung im Bestand heute kein Weg mehr an den dezentralen Kompaktlüftern vorbei. Ihre flexiblen Einbaumöglichkeiten und der einfache Systemaufbau sowie die schnelle Installation sind entscheidende Überzeugungsträger.  Die Marktzahlen bestätigen diese Entwicklung. Insgesamt verzeichnet der Markt für kontrollierte Wohnungslüftung ein durchschnittliches Wachstum im oberen einstelligen Bereich. Dafür sind primär die dezentralen Systeme verantwortlich, die seit Jahren zweistellig wachsen, während bei den zentralen Anlagen mit Wärmerückgewinnung eine gewisse Marktsättigung erreicht zu sein scheint.

VIelen Dank für das Interview. (fei)

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